Danach

Ein Mann, der selbst initiiert wurde, hat mir mal erzählt, dass eine Initiation dadurch gekennzeichnet sei, dass es ein eindeutiges „Davor“ und ein davon deutlich abgegrenztes „Danach“ gäbe. Meine Initiation nach Richard Rohr durch die Brüder von Männerpfade ist jetzt gut ein Jahr her. Und ich frage mich immer mal wieder: „Was ist mein ‚Danach‘?“ Gab es ein eindeutiges, klar abgegrenztes „Davor“?

Ich habe noch keine Antworten darauf. Ich glaube nicht, dass ich mich oder etwas seitdem großartig verändert hat. Ich bin immer noch ich. Mein Haus, mein Auto, meine Familie… alles beim Alten.

Von einem anderen Mann habe ich mal gehört, dass das Leben ihn initiiert hat.

Die Erfahrungen, der Schmerz, die Brüche, die ein Mann erlebt, prägen ihn, sein Leben, sein Wesen und seine Sicht auf die Welt. Was bleibt von solchen Erlebnissen hängen? Was ist nach dem Bruch? Was kommt „danach“?

Geschichten aus meinem Leben

Ich möchte euch gerne drei Episoden aus meinen frühen Lebensjahren erzählen.

Als ich noch ein Kind war, bin ich einmal nachts aufgewacht, weil ich Angst hatte. Ich bin die knarzende Holztreppe zum Schlafzimmer meiner Mutter heruntergelaufen.

„Mama, ich hab’ Angst.“ „Was ist denn los?“ „Ich habe Angst vor dem Tod.“

Damals war die Angst für mich als Kind ganz gegenwärtig und real. Sie hat mich gelähmt. Ich war völlig aufgelöst. Das war der erste Moment, an den ich mich erinnern kann, in dem ich richtig große Angst vor dem Tod hatte.

Meine Mutter hat versucht, mich zu beruhigen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was sie gesagt hat. Ich weiß nur noch, dass ich auf ihrem Schoß saß und sie mich nach einiger Zeit wieder ins Bett brachte. Nach einer Weile schlief ich wieder ein.

Als Jugendlicher wurde mir langsam klar, dass niemand wirklich weiß, wie „das Leben funktioniert“. Als Kind dachte ich, dass ich nur alt genug werden muss, dann erklären mir die Erwachsenen schon, was das alles hier auf sich hat. Dann bekomme ich Antworten auf all meine Fragen:

Warum lebe ich? Und warum muss ich eigentlich sterben? Welchen Sinn hat das Leben? Was ist der Sinn von allem?

Ich dachte, die Erwachsenen wissen das. Als junger Mann habe ich dann gemerkt, dass niemand auf der Welt weiß, was das alles hier zu bedeuten hat, wie das Leben funktioniert und was es heißt, hier in diesem Universum zu leben.

Als mir das bewusst wurde, war ich ziemlich enttäuscht. Bis dahin dachte ich immer, die Erwachsenen wüssten all das. Schmerzhaft stellte sich das für mich nun als Illusion heraus.

Als junger Erwachsener war ich ziemlich unglücklich über das Ende meiner ersten „Beziehung“. Ich war einfach unzufrieden mit mir, meinem Leben, meiner Ausbildung und so weiter. Irgendwie war ich mit allem unzufrieden. Mit der Zeit ging es mir immer schlechter, also habe ich mir professionelle Hilfe gesucht. Die habe ich zwar letztendlich bekommen, aber leider erst nach einer sehr langen Wartezeit. Diese schwere seelische Krise war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben. Sie beschäftigt mich bis heute.

Brüche davor, Fragen danach

Die drei Episoden stehen für einige Brüche in meinem Leben. Geplatzte Träume, leidvolle

Momente, unerfüllte Sehnsüchte…

Haben diese Erlebnisse mich „initiiert“, mich zu dem gemacht, der ich heute bin? Auf jeden Fall haben sie mich geprägt und wirken sich bis heute aus.

Manchmal überkommt mich immer noch die Angst vor dem Tod.

Die unbeantworteten Fragen zum Sinn des Lebens beschäftigen mich nach wie vor.

Ich habe gelernt, mit den Erlebnissen „umzugehen“. Meine Fragen, meine Ängste, meine Sehnsüchte, meine Träume… Ich schiebe sie zur Seite, rede sie klein, höre nicht hin, lenke mich ab, verdränge sie.

Die Erlebnisse haben dazu geführt, dass ich mich verändert habe. Insofern waren sie der Beginn von etwas Neuem, von etwas „Initialem“. Aber fühle ich mich jetzt, nach diesen Erfahrungen („danach“) initiiert? Eher nicht, würde ich sagen.

Was ich erlebt habe, ist einzigartig und gilt nur für mich. Ich bin einfach anders als alle anderen auf der Welt. Damit bin ich wohl der einzige Mensch im Universum, der so denkt und fühlt. Ich komme mir wie ein Alien vor, ziemlich fremd und allein in dieser Welt.

Und wie sah es vor einem Jahr aus? Was war vor meinem Aufbruch zur Initiation („davor“)? Was „danach“?

Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich weiß nur noch, dass es sich richtig angefühlt hat, sich auf den Weg zu machen. Ich wollte mich darauf einlassen und etwas Neues wagen.

Klar, ich wusste nicht, ob sich durch die Initiation was ändert, ob mein Leben anders ist, ob ich anders bin oder werde. Und ehrlich gesagt weiß ich das heute auch (noch?) nicht so genau. Ich bin immer noch ich.

Aber inzwischen habe ich das Gefühl, dass sich im Vergleich zu „davor“ etwas geändert hat. Ich kann es nicht wirklich in Worte fassen. Es ist keine große Veränderung, kein deutlich spürbarer Umbruch in ein (davon klar abgegrenztes) „Danach“.

Ich kann das ganz gut mit dem in Verbindung bringen, was ich auch manchmal von anderen initiierten Männern höre. Die Initiation war sozusagen der Startschuss, der Anfang von etwas Neuem. Ich kann mich immer wieder neu und anders auf den Weg machen. Ich nehme mich selbst mehr wahr, versuche aufmerksamer, fühlender, offener und liebevoller zu sein. Und verbundener – mit mir und mit anderen.

Ich empfinde das Ganze als einen Prozess. Vor allem fühle ich mich nun mit anderen Männern, mit meinen Brüdern von Männerpfade verbunden. Besonders mit denen, die sich vor einem Jahr mit mir auf den Weg gemacht haben und sich getraut haben, sich einzulassen – ohne zu wissen, was „danach“ passiert.

Meine Fragen nach dem Sinn, meine Ängste, meine Gefühle, meine Trauer, mein Leid, meine Wut … All das ist weiterhin da, wenn ich auf mich und die Welt sehe. Und dadurch fühle ich mich manchmal schon wie ein Außenseiter, irgendwie komisch und sonderbar.

Ich habe jetzt aber endgültig verstanden (und erlebt!), dass ich mit solchen Fragen nicht allein bin. Ich bin nicht der einzige, der sich mit Gefühlen und Problemen konfrontiert sieht, die sich nicht einfach lösen oder beantworten lassen und einen schnell überfordern können – nicht nur mich.

Ich weiß, dass ich all das auf besondere Art und Weise teilen kann. Ich habe erfahren, wie man(n) sich verbunden fühlt, wenn man(n) sich zeigt, mitfühlt und seinem Gegenüber vertraut. Ich habe erlebt (gespürt und geschenkt bekommen), wie Männer sich öffnen und sich von bestimmten Dingen tief im Inneren berühren und anrühren lassen. Ich weiß, dass ein neuer Raum, heilend, heilig und heil, entstehen kann. Diese Erkenntnis ist für mich unendlich wertvoll.

Wenn es ein eindeutiges, klar abgegrenztes „Danach“ gibt (was ich bezweifle), gehört für mich dazu:

– Ich habe gelernt, wie Männer sich auf besondere Weise tief verbinden können. So etwas kannte ich „davor“ nicht. Ich finde es immer wieder erstaunlich und ein echtes Geschenk, wenn das passiert.

– Ich bin nicht allein mit all den Lebens- und Sinnfragen (und insbesondere kein „Alien“ 😉

– Ich versuche, freundlicher zu mir und meinen „Störenfrieden“ (Trauer, Ängsten, Fragen, Wut, unerfüllte Träume…) zu sein. Ich möchte lernen, sie als Wegbegleiter anzunehmen und (vielleicht sogar später mal) als Ratgeber hinzubitten.

Und wie ist es bei dir mit all deinen Fragen?

Hast du schon mal ein einschneidendes (initiales) Erlebnis gehabt, das dein Leben verändert hat? Und denkst du, dass „danach“ irgendwas anders war?

L. P.

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