Leipzig, 12. November 2024.
Ja genau. Wie geht´s mir eigentlich wirklich, tief innen drin?
Ehrlich gesagt kann ich das nicht recht beantworten. Der erste Impuls ist: Gut. Aber stimmt das?
Oberflächlich gesehen – ja. Keine Katastrophen, das Leben läuft in geregelten Bahnen.
Und dennoch ist da eine Unzufriedenheit, eine innere Unruhe, die sich aber allzu leicht durch ein Gläschen Wein oder einen guten Film besänftigen lässt. Ein unmerklicher Rückzug und eine gewisse Verhärtung merke ich auch.
„Wer den Weg zur Natur findet…“
Schon zum Anfang des Jahres kommt diese Einladung zu einer Visionssuche auf Kreta. Wäre das was? Nach 37 Jahren wieder auf dieser wilden Insel sein? Noch bin ich nicht bereit, auch wenn mich die Idee nicht mehr los lässt. Im Juni dann die erneute Nachfrage, bist du dabei? Und ganz spontan sagt eine Stimme in mir: Ja! Ich bin dabei. Sofort bezahle ich, schon um den üblichen Zweifeln später keine Chance mehr zu geben.
Ende Oktober ist es dann soweit. Am Montag Abend treffen wir uns am Flughafen in Heraklion. 12 Menschen mit sehr großen Rucksäcken, die beiden Assistenten und die Leitung. Mit Mietwägen geht es durch die stockdunkle Nacht zur kleinen Pension im Südwesten, die unser Basislager sein wird. Schon am nächsten Morgen gibt es den ersten von 12 weiteren magischen Sonnenaufgängen, die ich als Frühaufsteher erleben darf.
Vormittags geht es dann richtig los. Wir sitzen im Council, erzählen uns die Gründe für unser Hier sein, werden auf unsere ersten Schwellengänge in die Natur geschickt. Die beiden Leiter spiegeln das immer wieder: Roland, der Kretaliebhaber und Herzensmensch, Sylvia, die weise Älteste, seit Jahrzehnten dabei.
Wir gehen durchs Medizinrad, ausgehend vom Süden, dem Land der Kindheit, lassen uns von unserem inneren Kind irgendwo in die Natur führen (mich zieht es an den Strand, ans Meer). Dann der Westen, die dunklen Seiten, der Ort der tiefen Verwundung und der alten, oft genug problematischen Bewältigungs-muster. Was für eine mutige Gruppe, wir machen uns ehrlich, „nackt“ und gehen tief in die Verletzungen unserer Psyche. Es gibt viele Tränen, aber auch viel Wahrheit.
Bevor es hinausgeht ist noch der Norden an der Reihe, der Platz für Vernunft, Struktur, Selbstverantwortung. Hier suchen und finden wir nach viel Arbeit und Feedback einen Satz, der uns halten soll in unserer Solozeit. Frühmorgens werden wir dann von der vertrauten Welt losgeschnitten und mit dem Duft der Salbeiräucherung in die mehr als menschliche Welt geschickt.
4 Tage und 4 Nächte. Kein Essen (nur Wasser), kein Schutz durch Zelt oder Tarp (weil es trocken bleibt), keine Gesellschaft. Allein mit sich, der Natur und dem Mysterium. Für mich ist das, soviel habe ich schon verstanden, ein not-wendiges Opfer, um mich zu lösen aus meiner Erstarrung durch Vermeidung, Verwässerung und Verdrängung (die 3 V´s wie Sylvia meinte). Ich hatte mich unwillkürlich entfernt vom wirklich Wesentlichen, hab mich verloren im Alltag des allzu Weltlichen und mich meiner spirituellen Verbindung mehr und mehr entfremdet. Kein Wunder, dass es mir nur oberflächlich gut ging, aber nicht wirklich tief innen drin! Das aber wurde mir erst nach dieser Zeit alleine, fastend und „schutzlos“ in der Natur wirklich bewusst. Was für ein Erlebnis, den funkelnden Sternenhimmel in der Wachnacht über sich zu haben. Stunden einfach nur dazusitzen (kurzes Einnicken eingeschlossen), bis zur Morgendämmerung. Der Beginn der neuen Zeit…
Nach der Rückkehr, samt Begrüßung in der menschlichen Sphäre, dem köstlichen Fastenbrechen und den ersten erleichterten Gesprächen, erzählen wir uns alle unsere Geschichten im Kreis, die uns wieder gespiegelt und dadurch noch kostbarer und runder werden. Wie viel herzliche Verbundenheit und Nähe doch aus der oft harten, befremdlichen und doch stärkenden Solozeit mitgekommen ist… Meine Erfahrungen in der Natur haben mich wohl aus dem „survival dance“ in den „sacred dance“ geschubst. Nichts hat sich verändert, alles hat sich verändert.
Wieder zu Hause und auf meinem ersten Morgenweg im nebligen Park wird mir klar, wie sehr mich diese Visionssuche befreit, belebt und wieder verbunden hat. Mit mir selbst, mit dem Kreis meiner Mitquester und mit der mehr als menschlichen Welt um mich herum. Kopfschüttelnd konstatiere ich, dass der Kopf, mein rationales Denken, das alles nicht wirklich begreifen kann. Nicht kapieren kann, wie diese paar Tage in der Natur, der wilden, kargen Schönheit Kretas soviel verändern konnten. Mein Herz aber, das die Sprache der Seele zunehmend besser versteht, weiß ganz genau, welche Kraft dieses uralte Ritual der Visionssuche immer wieder entfaltet. Es ist alles da. Auch im grauen Herbstnebel in Leipzig. Egal. In mir ist nur eine große Dankbarkeit und Freude.
… der findet auch den Weg zu sich selbst.“ (Klaus Ender)
Danke für Eure Zeit
Walter